Nachfolgend ein Beitrag vom 16.8.2018 von Günther, jurisPR-VersR 8/2018 Anm. 2
Leitsätze
1. Die Voraussetzungen für die Auszahlung der Neuwertspitze in der Gebäudeversicherung liegen bei Vereinbarung einer strengen Wiederherstellungsklausel auch dann vor, wenn anstelle eines zweigeschossigen Wohnhauses ein Bungalow mit Flachdach erstellt wird.
2. Bei dem gebotenen Größenvergleich findet § 2 Abs. 3 Wohnflächenverordnung keine Anwendung.
A. Problemstellung
Das OLG Dresden hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob eine Wiederherstellungsklausel in der Wohngebäudeversicherung mit der Folge, dass der Versicherungsnehmer den Neuwert- und nicht nur den Zeitwertschaden erlangt, auch dann gewahrt ist, wenn anstatt eines ursprünglich zweigeschossigen Einfamilienhauses ein einstöckiger Bungalow mit Flachdach errichtet wurde. Ebenso war fraglich, welche Abweichung von der ursprünglichen Nutzfläche als erheblich anzusehen ist und ob dafür auf Wohnflächen nach § 2 Wohnflächenverordnung (WoFlV) abgestellt werden muss.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung des Neuwertanteiles aus einer Gebäudeversicherung. Sie ist Alleinerbin ihres Ehemannes K, für dessen Grundstück ihr Sohn N bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung abgeschlossen hat. Dem Vertrag lagen die VGB 2001 zugrunde. § 27 Nr. 6 hat folgenden Wortlaut:
„Der Versicherungsnehmer erwirbt den Anspruch auf Zahlung des Teils der Entschädigung, der den Zeitwertschaden übersteigt (Neuwertanteil), nur, soweit und sobald er innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles sicherstellt, dass er die Entschädigung verwenden wird, um versicherte Sache in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wiederherzustellen oder wiederzubeschaffen …“
Am 31.12.2010 wurde das in Rede stehende Gebäude durch einen Brand stark beschädigt. Die Beklagte ermittelte einen Zeitwert für das Wohnhaus i.H.v. 144.099,13 Euro netto und einen Bruttoneuwert von 223.746,13 Euro. Der Senat hat mit Urteil vom 24.03.2015 die Beklagte zur Zahlung des Zeitwertschadens i.H.v. 144.099,13 Euro verurteilt und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin weitere 79.647 Euro zu zahlen, sofern diese innerhalb von 18 Monaten nach Rechtskraft des Urteils sichergestellt hat, dass sie die Entschädigung verwenden wird, um ein Gebäude gleicher Art und Zweckbestimmung wie das am 31.12.2010 zerstörte an bisheriger Stelle wiederherzustellen. Bei dem zerstörten Gebäude handelte es sich um ein Einfamilienhaus mit Satteldach, Keller (53,88 qm), Erdgeschoss (56,37 qm) und Dachgeschoss (49,83 qm) sowie einem ausgebauten Bodenraum, der als Kinderzimmer und Abstellraum genutzt wurde. Zum Zeitpunkt des Brandschadens war das Haus an den Sohn der Klägerin N und dessen damals minderjährige Tochter vermietet.
Die Klägerin ließ auf dem Grundstück ein neues Gebäude an der gleichen Stelle errichten. Es handelt sich um einen einstöckigen Bungalow mit Flachdach und ohne Keller. Die Wohnfläche wird in der Leistungsbeschreibung mit ca. 160 qm und in den Plänen mit ca. 136,95 qm angegeben. Beabsichtigt ist die Weitervermietung an den Sohn N und dessen Lebensgefährtin zu Wohnzwecken. Der umbaute Raum des zerstörten Gebäudes betrug 492,66 m³ und der des neu geplanten Gebäudes beträgt 464 m³.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für die Auszahlung der Neuwertentschädigung lägen vor. Die Beklagte meinte, die Voraussetzungen der strengen Wiederherstellungsklausel seien hierdurch nicht erfüllt. Die Errichtung eines einstöckigen Bungalows mit Flachdach sei nicht mit einem zweigeschossigen Einfamilienhaus vergleichbar. Die Wohnfläche habe sich erheblich von 106,35 qm auf 153,49 qm vergrößert. Das Kellergeschoss und der Dachboden könnten nicht berücksichtigt werden, denn diese seien im alten Gebäude nicht zu Wohnzwecken ausgebaut gewesen. Der umbaute Raum möge zwar vergleichbar sein, besage aber nichts über die tatsächlich nutzbare Fläche. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen.
Das OLG Dresden hat die Berufung der Klägerin für begründet erachtet. Der Klägerin stehe gegen die Beklagte aus dem Wohngebäudeversicherungsvertrag ein Anspruch auf Zahlung der Neuwertentschädigung zu.
Der Zweck der Neuwertversicherung bestehe darin, den Schaden auszugleichen, der dem Versicherungsnehmer dadurch entsteht, dass er einen höheren Betrag als den Zeitwert aufwenden muss, wenn er das zerstörte Gebäude wieder herstellt. Die Neuwertversicherung solle jedoch grundsätzlich nicht auch solche Aufwendungen abdecken, die durch wesentliche Verbesserungen des Gebäudes bei seiner Wiedererrichtung verursacht wurden. Eine Wiederherstellung i.S.d. § 27 Nr. 6 VGB 2001 sei nur dann anzunehmen, wenn das neu errichtete Gebäude etwa dieselbe Größe aufweist wie das zerstörte und gleichartigen Zwecken dient, was allerdings eine moderne Bauweise nicht ausschließe.
Bei dem von der Klägerin neu errichteten Gebäude handele es sich um ein Gebäude, das der gleichen Art und Zweckbestimmung wie das alte Gebäude dient. Sowohl das abgebrannte als auch das neu errichtete Gebäude seien Einfamilienhäuser, die zu Wohnzwecken genutzt werden. Entgegen der Auffassung des Landgerichts werde kein Gebäude anderer Art errichtet, weil es sich bei dem neu zu errichtenden Gebäude um einen einstöckigen Bungalow mit Flachdach ohne Keller handelt und das zerstörte Gebäude über zwei Geschossebenen, einen Keller und Satteldach verfügte. Das Bereicherungsverbot gehe nicht so weit, dass jede mit der Wiederherstellung verbundene Besserstellung des Versicherungsnehmers ausgeschlossen bleiben müsste. Zu einer zulässigen Verbesserung könnten auch durch technische, wirtschaftliche und soziale Änderungen bedingte Modernisierungsmaßnahmen gehören. Die Errichtung eines einstöckigen Bungalows mit Flachdach stelle lediglich eine moderne Bauweise dar, die an die sozialen Bedürfnisse oder auch den geänderten, modernen Geschmack ihrer Bewohner angepasst ist.
Die Nutzfläche des neuen Gebäudes weiche mit 25% nicht wesentlich von derjenigen des alten Gebäudes ab. Eine Abweichung der Nutzfläche von jedenfalls bis zu 40% sei bei einer etwa gleichbleibenden Größe des umbauten Raumes nicht erheblich. Feste Grenzen für die Abweichung der Fläche gebe es nicht. Insoweit komme es stets auf eine Gesamtbetrachtung auch unter Berücksichtigung anderer Parameter, wie z.B. der Größe des umbauten Raumes, an.
Des Weiteren hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass auch der ausgebaute Dachboden des alten Gebäudes sowie der Keller in die Berechnung der Nutzfläche einzubeziehen seien. Bei der Berechnung der Größe des Gebäudes in einem Versicherungsverhältnis könne nicht auf die im Wohnraumförderungsgesetz geregelte Wohnflächenberechnung zurückgegriffen werden. Diese Berechnung diene überwiegend dazu, im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter eine zuverlässige Berechnung der Wohnfläche zu ermöglichen. Im Verhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer würde ihre Anwendung nicht zu sachgerechten Lösungen führen. In § 27 Nr. 6 VBG 2001 sei nicht definiert, wie die Fläche berechnet werden soll. Der Versicherungsnehmer werde bei verständiger Würdigung der Versicherungsbedingungen annehmen können, dass ihm bei der Wiederherstellung des Gebäudes eine vergleichbare Nutzfläche zur Verfügung stehen kann. Entscheidend für ihn sei die von ihm tatsächlich genutzte Fläche – unabhängig von der Frage, ob sie bauordnungsrechtlich auch genutzt werden kann oder sie nach der Wohnflächenverordnung zur Wohnfläche rechnet. Insbesondere bei älteren Gebäuden würden Flächen genutzt, die zum Zeitpunkt der Zerstörung des Gebäudes bauordnungsrechtlich nicht mehr genehmigungsfähig sind. Hinzu komme, dass bei der Bewertung auch die Größe des umbauten Raumes in Rechnung zu stellen sei. Dieser Wert gebe ebenfalls Auskunft über die Größe des Gebäudes.
C. Kontext der Entscheidung
I. Die sog. strenge Wiederherstellungsklausel beschäftigt nicht selten die Gerichte. Der Versicherungssenat des BGH hat sich mit dieser Klausel in den letzten Jahren mehrfach befasst (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 24.01.2007 – IV ZR 84/05 – RuS 2007, 196, und BGH, Urt. v. 20.04.2016 – IV ZR 415/14 – RuS 2016, 302 m. Anm. Günther, jurisPR-VersR 6/2016 Anm. 2). Im ersten Fall ging es um die Frage, ob auch bei Teilschäden die Wiederherstellungsklausel eingreift. Dies wurde vom BGH jedenfalls zu den AFB bejaht. Dem ist zuzustimmen, zumal kaum ein Fall vorstellbar ist, bei dem ein Gebäude „total“ zerstört wird, da fast immer Restwerte verbleiben, wie z.B. eine Bodenplatte. Bei dem zweiten Urteil des BGH stellte dieser Sinn und Zweck der Klausel heraus. Zum einen soll die Klausel zugunsten des Versicherungsnehmers dessen ungeplante Aufwendungen abdecken, aber nicht zu einer darüber hinausgehenden Bereicherung führen. Zum anderen diene diese Klausel der Begrenzung des subjektiven Risikos, z.B. im Hinblick auf die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles gemäß § 81 Abs. 1 VVG.
II. In der Wiederherstellungsklausel ist eine Frist von drei Jahren für die Wiederherstellung oder zumindest dessen Sicherstellung vereinbart. Dies ist keine Verjährungsfrist oder eine „verhüllte“ Obliegenheit, sondern eine objektive Risikobegrenzung. Nur über die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) kann diese Frist verlängert werden. Typische Fallkonstellation ist eine zu Unrecht ausgesprochene Deckungsverweigerung zum Anspruchsgrund, z.B. wenn der Versicherer eine Eigenbrandstiftung des Versicherungsnehmers behauptet, diese sich jedoch im Prozess nicht beweisen kann. In diesem Fall wird, so auch vom OLG Dresden, dem Versicherungsnehmer eine „Nachfrist“ von 18 Monaten nach Eintritt der Rechtskraft zugebilligt. Eine Begründung, warum es just 18 Monate sind, findet sich in keinem dieser Urteile. Richtig dürfte vielmehr eine Berechnung einer individuellen „Nachfrist“ im Einzelfall sein (ausführlich hierzu Günther, RuS 2017, 340).
III. Richtigerweise war es im Falle des OLG Dresden unschädlich, dass der Versicherungsnehmer statt eines zweigeschossigen Einfamilienhauses – mit gleicher Nutzung – einen Bungalow errichten ließ. Auch die cbm umbauten Raumes sind ein eher „weicher“ Faktor. Maßgeblicher sind Abweichungen bei der qm-Fläche. Ein Abweichung im Bereich unter 20% ist grundsätzlich unschädlich, eine oberhalb von 40% zu erheblich. Im dazwischenliegenden Bereich kommt es auf eine Gesamtschau aller Umstände an, ob nun aus Sicht des durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmers das wiedererrichtete Gebäude das „gleiche“ ist oder ob es sich um ein aliud handelt.
IV. Bedenklich ist jedoch die Herangehensweise des OLG Dresden bei der Berechnung der Abweichung bei den Quadratmeterzahlen. Hier kommt es richtigerweise nicht auf die Wohnflächenverordnung, DIN-Vorschriften o.a. an. Es gibt jedoch Regelungen in den VGB, wenn die Versicherungssumme nicht nach dem Versicherungswert 1914, sondern nach dem sog. Quadratmetermodell berechnet wird. Dort wird u.a. auf die „qm Wohn- und Nutzfläche“ abgestellt (z.B. § 10 Abs. 2a VGB 2010). Auf erste Sicht erscheint die Lage danach klar. Es erfolgt nur ein Vergleich der gesamten Wohn- und Nutzfläche des schadenbetroffenen Gebäudes mit dem neu errichteten Gebäude. Auf zweite Sicht überzeugt diese scheinbar einfache Lösung nicht: Zum einen findet sich dieser Hinweis auf „qm Wohn- und Nutzfläche“ nicht in der Regelung zur Wiederherstellungsklausel. Zwar ist auch bei Auslegung von AVB in Grenzen eine systematische Auslegung zulässig, wenn diese für den Versicherungsnehmer erkennbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2009 – IV ZR 47/09 – RuS 2009, 508, zur Entwertungsklausel von 40% in der Feuerversicherung). Allerdings wird hierfür der „durchschnittliche“ Versicherungsnehmer mangels Verknüpfung der Wiederherstellungsklausel mit der Versicherungssummenberechnung keine Veranlassung sehen. Vielmehr geht es allein um die Auslegung einer Wiederherstellung in „gleicher Art“ gemäß der Klausel zur Neuwertspitze. Auf Grundlage dieser allein maßgeblichen Auslegung erscheint die Auffassung des OLG Dresden bedenklich, bei der Prüfung von Abweichungen bei der Quadratmeterfläche einen nicht ausgebauten Keller mit einem Wohngeschoss gleichzusetzen. Richtigerweise hätte daher zwar das offenbar ausgebaute Dachgeschoss berücksichtigt werden dürfen, aber nicht der Keller.
D. Auswirkungen für die Praxis
I. Vorzugswürdig ist es für die Praxis, wenn der Versicherungsnehmer – rechtzeitig vor Ablauf der Drei-Jahres-Frist – sich mit dem Versicherer abstimmt, ob seine Planung grundsätzlich für den Anfall der Neuwertspitze ausreicht.
II. Wenn der Versicherer die Neuwertspitze auskehrt, steht dem Versicherer ein Rückzahlungsanspruch zu, wenn der Versicherungsnehmer infolge seines Verschuldens das Gebäude nicht innerhalb einer angemessenen Frist wiederherstellt (§ 93 VVG). Dies hat in der Praxis nur eine eher geringe Bedeutung, da Versicherer üblicherweise nach Auskehrung der Neuwertspitze nicht Monate oder Jahre später prüfen, ob das Gebäude auch tatsächlich wiederhergestellt wurde.
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