Leitsatz
Zur Auslegung eines Widerrufsvorbehalts zum Bezugsrecht eines Gesellschafter-Geschäftsführers bei einer zur betrieblichen Altersversorgung abgeschlossenen arbeitgeberfinanzierten Rentenversicherung im Insolvenzfall.
A. Problemstellung
Bei einer betrieblichen Altersvorsorge in Form einer Direktversicherung erhält der Arbeitnehmer (oder Geschäftsführer) ein Bezugsrecht an der Versicherungsleistung, welches vom Arbeitgeber eingeräumt wird. Dieses Bezugsrecht kann im Versicherungsvertrag als unwiderruflich, widerruflich oder eingeschränkt unwiderruflich ausgestaltet und an Bedingungen geknüpft werden. Je nach Ausgestaltung kann der Insolvenzverwalter das Bezugsrecht des Arbeitnehmers widerrufen. Bei einem eingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht hängt die Widerrufsmöglichkeit von der Auslegung der Vorbehaltserklärung (Bedingungen) ab.
Vorliegend ging es um die Frage der Auslegung eines eingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrechts unter dem Vorbehalt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Versicherungsfalls (vor Ablauf der Unverfallbarkeitsfrist) im Insolvenzfall, wobei neben Arbeitnehmern auch ein Gesellschafter-Geschäftsführer betroffen war.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Eine zwischenzeitlich insolvente GmbH hatte zugunsten früherer Arbeitnehmer und zugunsten eines Gesellschafter-Geschäftsführers im Rahmen eines Gruppenversicherungsvertrags Rentenversicherungsverträge zur betrieblichen Altersvorsorge mit einem Widerrufsvorbehalt zum Bezugsrecht vereinbart. Dabei sah die Regelung zur Bezugsberechtigung vor, dass dem Unternehmen das Recht vorbehalten blieb, das Bezugsrecht zu widerrufen, wenn das Arbeitsverhältnis mit der versicherten Person vor Eintritt des Versicherungsfall endet, es sei denn, die versicherte Person hat die Voraussetzungen für die Unverfallbarkeit nach dem BetrAVG erfüllt. Der Kläger machte als Insolvenzverwalter der GmbH Ansprüche auf Auszahlung des Rückkaufswerts aus mehreren Versicherungsverträgen gegenüber der Versicherung unter Berufung auf erfolgte Widerrufe geltend. Von den versicherten Mitarbeitern waren einige kurz vor Stellung des Insolvenzantrags in ein anderes Unternehmen gewechselt, gegenüber anderen hat der Kläger die Kündigung erklärt, ein Mitarbeiter schied durch Eigenkündigung aus, und zehn Mitarbeiter wechselten zu einem Betriebsübernehmer; mit drei weiteren Arbeitnehmern wurden Aufhebungsverträge geschlossen. Auch ein Gesellschafter-Geschäftsführer schied in Zusammenhang mit der Insolvenz aus.
Das Berufungsgericht hat der Klage zum Teil stattgegeben. Hinsichtlich der Arbeitnehmer, die ein Arbeitsverhältnis bei dem Betriebsübernehmer fortgesetzt haben, liege kein Widerrufsrecht vor, da es an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses fehle. Weiter liege kein Widerrufsrecht vor hinsichtlich der Arbeitnehmer, die im Zusammenhang mit der Insolvenzeröffnung gekündigt bzw. Aufhebungsverträgen zugestimmt haben, da insoweit die Bezugsberechtigung nach einschränkender Auslegung des Versicherungsvertrags bei insolvenzbedingter Beendigung nicht widerruflich sei. Die insolvenzbedingte Beendigung liege nicht in der Sphäre des Arbeitnehmers.
Ein Widerruf sei hingegen zulässig im Hinblick auf das Bezugsrecht des ehemaligen Gesellschafter- Geschäftsführers, da dieser nicht unter den Schutzbereich des BetrAVG falle und insoweit die Widerruflichkeit nicht einschränkend auszulegen sei. Der BGH hat sowohl die Revision von Kläger- als auch die von Beklagtenseite zurückgewiesen und die Begründung des Berufungsgerichts bestätigt. Zutreffend sei die Auslegung des Versicherungsvertrags dahingehend, dass die insolvenzbedingte Beendigung der Arbeitsverhältnisse unter Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragsbeteiligten nicht unter das nach dem Versicherungsvertrag geregelte „Ende des Arbeitsverhältnisses“ falle. Dies folge aus dem Interesse der Arbeitnehmer, dass ihnen die Versicherungsansprüche nicht genommen werden können, wenn sie auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Einfluss nehmen können und diese nicht ihrer Sphäre zuzuordnen sei.
Diese Interessenlage liege hingegen nicht vor im Fall eines als Geschäftsführer tätigen Gesellschafters, der selbst die Geschicke des Unternehmens in der Hand habe und dieses leite. Dieser sei auch nicht Arbeitnehmer i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG. Sei er lediglich Minderheitsgesellschafter, gelte er als einem Arbeitnehmer gleichzustellender sog. Nichtarbeitnehmer i.S.v. Satz 2 dieser Vorschrift (unter Verweis auf BGH, Urt. v. 25.07.2005 – II ZR 237/03). Der geschäftsführende Gesellschafter mit einer nicht unbedeutenden Beteiligung falle jedoch nicht unter dem Schutzbereich des BetrAVG. In den Einflussmöglichkeiten eines Gesellschafter-Geschäftsführers können so maßgebliche Umstände gesehen werden, die einer einschränkenden Auslegung des Widerrufsvorbehalts entgegenstehen.
Als zutreffend sah der Senat auch die Ansicht des Berufungsgerichts an, die Beendigung der Beschäftigungsverhältnisse mit weiteren Arbeitnehmern vor dem Insolvenzfall sei nicht als „insolvenzbedingt beendet“ anzusehen mit der Folge, dass die einschränkende Auslegung des Vorbehalts auf diese Arbeitnehmer nicht anzuwenden sei und der Widerruf des Bezugsrechts durch den Kläger habe erklärt werden können. Hinsichtlich dieser Arbeitnehmer treffe die Beklagte die Beweislast für eine insolvenzbedingte Beendigung der Arbeitsverhältnisse und nicht den Kläger für eine nicht insolvenzbedingte Beendigung.
C. Kontext der Entscheidung
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH steht das eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrecht dem uneingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht gleich, sofern die Voraussetzungen für einen Vorbehalt des Widerrufs nicht erfüllt sind (BGH, Urt. v. 06.06.2012 – IV ZA 23/11). Sind die Voraussetzungen des Vorbehaltes hingegen erfüllt, kann das Bezugsrecht widerrufen werden. Dabei legt der BGH in ständiger Rechtsprechung die Vorbehaltsklauseln dahingehend aus, dass insolvenzbedingte Betriebseinstellungen von einem „vorzeitigen Ausscheiden“ des Mitarbeiters nicht erfasst sind (vgl. BGH, Urt. v. 22.01.2014 – IV ZR 201/13, m. Anm. Witt, jurisPR-InsR 12/2014 Anm. 2, sowie Matthießen, jurisPR-ArbR 23/2014 Anm. 3).
Soweit der Senat vorliegend zum Ergebnis kommt, dass bei einer insolvenzbedingten Beendigung von Arbeitsverhältnissen die Klausel einschränkend dahingehend auszulegen sei, dass die Bezugsberechtigung bei insolvenzbedingter Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht widerruflich sei, liegt die Entscheidung auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung. Unter die insolvenzbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses fallen durch den Insolvenzverwalter gekündigte Arbeitnehmer ebenso wie Arbeitnehmer, die im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren Aufhebungsverträge geschlossen haben, sowie Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis aufgrund einer Vereinbarung des Insolvenzverwalters mit einem Betriebsübernehmer bei Letzterem fortgesetzt haben.
Das BAG ist der Rechtsprechung des BGH in Bezug auf die einschränkende Auslegung nicht gefolgt und hatte die Frage dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Entscheidung vorgelegt. Zu einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats ist es nach einer Stellungnahme des IV. Zivilsenats des BGH nicht mehr gekommen. Das BAG legt derartige Klauseln zum Widerrufsvorbehalt inzwischen ebenfalls unter betriebsrentenrechtlichen Wertungen aus (vgl. BAG, Urt. v. 15.06.2010 – 3 AZR 334/06), kommt allerdings nicht zu einer so einschränkenden Auslegung wie der BGH (vgl. BAG, Urt. v. 18.09.2012 – 3 AZR 176/10, m. Anm. Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 48/2012 Anm. 4, und Jacob, jurisPR-VersR 12/2012 Anm. 6).
Zutreffend bezieht der BGH Gesellschafter-Geschäftsführer mit einer nicht unbedeutenden Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, sofern sie entweder allein oder zusammen mit einem anderen Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied über die Mehrheit verfügen, nicht in den Schutzbereich des BetrAVG ein. In der Konsequenz ist hinsichtlich dieser Personen bei der Auslegung von Klauseln zu Widerrufsvorbehalten auch keine Einschränkung vorzunehmen und der vom BGH kreierte „Ausnahmetatbestand“ nicht anzuwenden mit der Folge, dass ein Widerruf des Bezugsrechts auch bei einer „insolvenzbedingten“ Beendigung möglich ist. Minderheitsgesellschafter, die für das Unternehmen tätig werden, fallen unter den Anwendungsbereich des BetrAVG (§ 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG; BGH, Urt. v. 28.04.1980 – II ZR 254/78).
D. Auswirkungen für die Praxis
Nach wie vor besteht eine unterschiedliche Auslegungspraxis bei BGH und BAG. Widerruft der Insolvenzverwalter das Bezugsrecht und fordert Rückkaufswerte bei der Versicherung, hat er aufgrund der BGH-Rechtsprechung bei eingeschränkt unwiderruflichem Bezugsrecht und Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit dem Insolvenzfall nach wie vor kaum Erfolgsaussichten. Der BGH wird hier unter Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen und Wertungen des BetrAVG die Widerrufsklausel einschränkend auslegen und das Widerrufsrecht verneinen. Neue Erkenntnis der Entscheidung ist, dass dies – unter konsequenter Anwendung der Wertungen des BetrAVG – nicht gilt für Gesellschafter-Geschäftsführer, die jedenfalls nicht nur Minderheitsgesellschafter sind. Zahlt hingegen die Versicherung den Rückkaufswert an den Insolvenzverwalter aus und klagen hiergegen einzelne Arbeitnehmer vor der Arbeitsgerichtsbarkeit, können die Prozesschancen unter Berücksichtigung der jüngeren BAG-Rechtsprechung anders liegen.