Nachfolgend ein Beitrag vom 24.2.2016 von Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 8/2016 Anm. 2

Leitsatz

Die Durchgriffshaftung nach § 7e Abs. 7 Satz 2 SGB IV gegen die Organe einer juristischen Person findet auf die gesetzliche Regelung zur Insolvenzsicherung von Wertguthaben aus Altersteilzeitverträgen nach § 8a AltTZG keine Anwendung.

A. Problemstellung

Das Gericht hatte über die Frage der Anwendbarkeit von § 7e Abs. 7 SGB IV im Rahmen von Wertguthaben aus Altersteilzeitverträgen zu entscheiden.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger hatte im Dezember 2009 mit seinem Arbeitgeber bzw. dessen Rechtsvorgänger eine Altersteilzeitvereinbarung nach dem sog. „Blockmodell“ abgeschlossen. Nachdem das Unternehmen Konkurs anmelden musste, erhielt der Kläger ab Beginn der Freistellungsphase zunächst Insolvenzgeld und danach Sozialleistungen. Die vom Kläger als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen im Zusammenhang mit den Folgen einer zwischen den Parteien streitigen Insolvenzsicherung wurden dort anerkannt.
Ob im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung allerdings ein wirksamer Versicherungsschutz i.S.d. § 8a AltTZG bestand, ist zwischen den Parteien streitig. Ursprünglich war beabsichtigt gewesen, eine solche Insolvenzsicherung über eine Bürgschaftsversicherung im Rahmen einer Treuhandlösung darzustellen. Ein solcher Treuhandvertrag ist aber nicht rechtswirksam zustande gekommen. Hierin sieht der Kläger einen ihn treffenden Schaden, da er keinen Zahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber, sondern lediglich eine wirtschaftlich in der Regel deutlich weniger wertvolle Insolvenzforderung habe. Er erhalte zu gegebener Zeit am Ende des Insolvenzverfahrens das, was anteilig übrig geblieben ist und damit i.d.R. nicht den ihm zustehenden vollen Lohnanspruch. Vor diesem Hintergrund hat er die Geschäftsführer seines ehemaligen Arbeitgebers persönlich auf Schadensersatz in Anspruch genommen.
Mit dieser Schadensersatzklage ist der Kläger erst- und zweitinstanzlich gescheitert.
Das LArbG Rostock hat vertragliche Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer ebenso verneint wie deliktische Schadensersatzansprüche und zudem auch § 7e Abs. 7 Satz 1 und 2 SGB IV als mögliche Anspruchsgrundlage für eine persönliche Haftung der Geschäftsführer abgelehnt.
Eine persönliche Haftung der Beklagten aufgrund einer Nebenpflichtverletzung wegen unterbliebener Insolvenzsicherung gemäß den §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 3 BGB würde voraussetzen, dass die Geschäftsführer in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst hätten. Selbst wenn die Beklagten bestehende Aufklärungspflichten verletzt haben sollten, würde dies grundsätzlich keine Schadensersatzpflicht der Beklagten auslösen, sondern des von ihnen gesetzlich vertretenen Unternehmens. Nur ausnahmsweise haften Vertreter aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen. Das setzt voraus, dass der Vertreter entweder dem Vertragsgegenstand besonders nahesteht und bei wirtschaftlicher Betrachtung gewissermaßen in eigener Sache handelt oder er gegenüber dem Verhandlungspartner in besonderem Maß persönliches Vertrauen in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen beeinflusst hat (BAG, Urt. v. 23.02.2010 – 9 AZR 44/09 – NZA 2010, 1418; BAG, Urt. v. 13.02.2007 – 9 AZR 207/06 – NZA 2007, 878; BAG, Urt. v. 21.11.2006 – 9 AZR 206/06 – NZA 2007, 693). Einen solchen besonderen Vertrauenstatbestand hat selbst der Kläger vorliegend nicht behauptet.
Das Gericht hat auch einen Anspruch nach dem Rechtsinstitut des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und insbesondere die vom Kläger vertretene Auffassung abgelehnt, dass die Geschäftsführeranstellungsverträge ihm als Arbeitnehmer gegenüber eine entsprechende Schutzwirkung entfalten würden. Ein hierfür erforderliches Schutzbedürfnis ist jedenfalls dann abzulehnen, wenn dem Dritten – hier der klagenden Partei – ein eigener vertraglicher Anspruch zusteht, der über denselben bzw. einen gleichwertigen Inhalt verfügt.
Hinzu kommt, dass der Geschäftsführeranstellungsvertrag lediglich die Rechte und Pflichten zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft regelt und im Fall von Vertragspflichtverletzungen gegebenenfalls eine Innenhaftung (§ 43 GmbHG) vorsieht. Im Außenverhältnis verbleibt es gegenüber den sonstigen Vertragspartnern der Gesellschaft bei der ausschließlich auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung nach § 13 Abs. 2 GmbHG. Danach vermag ein Geschäftsführeranstellungsvertrag keine Schutzwirkungen zugunsten Dritter zu entfalten. Andernfalls wäre die mit § 7e Abs. 7 SGB IV eingeführte Durchgriffshaftung auf die Organe einer juristischen Person überflüssig.
Auch eine Haftung nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation kommt vorliegend nicht in Betracht.
Im Rahmen einer Drittschadensliquidation macht derjenige, in dessen Person die Voraussetzungen einer Anspruchsnorm mit Ausnahme des Schadens erfüllt sind, fremden Schaden geltend, wobei er seinen Anspruch an den wirtschaftlich geschädigten Dritten abzutreten hat. Damit soll verhindert werden, dass der Schädiger aus der für ihn zufälligen Verlagerung des Schadens auf einen nicht anspruchsberechtigten Dritten Vorteile zieht (BAG, Urt. v. 18.07.2006 – 1 AZR 578/05 Rn. 15).
Unabhängig von der Frage, ob eine Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation hier bereits an der beschriebenen Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen gemäß § 13 Abs. 2 GmbHG scheitert, ist jedenfalls die Voraussetzung einer zufälligen Schadensverlagerung nicht gegeben. Denn der Schaden – sofern man mit der klagenden Partei von einer fehlenden Insolvenzsicherung ausgeht – ist von vornherein bei den betroffenen Arbeitnehmern angesiedelt und entstanden, verbunden mit einem daraus resultierenden Ersatzanspruch unmittelbar gegen die Gemeinschuldnerin.
Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB waren ebenso zu verneinen.
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG sind Wertguthaben kein sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB. Eine persönliche Haftung der Geschäftsführer aus § 823 Abs. 2 BGB scheitert daran, dass der zwar als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB ausgestaltete § 8a Abs. 1 AltTZG insoweit nur im Verhältnis zum Arbeitgeber eine Haftung auslösen kann, dagegen aber keine Durchgriffshaftung von gesetzlichen Vertretern juristischer Personen begründet.
Auch eine Durchgriffshaftung nach § 7e Abs. 7 Satz 2 SGB IV scheidet aus, da diese Vorschrift nach Auffassung des Gerichts nicht auf unterlassene Insolvenzsicherungen aus Altersteilzeitverhältnissen i.S.v. § 8a AltTZG anwendbar ist.
Gemäß § 8a Abs. 1 Satz 1 HS. 2 AltTZG findet § 7e SGB IV keine Anwendung. Ob diese Bestimmung nur auf den spezialgesetzlichen Vorrang der Regelungen des § 8a AltTZG im Verhältnis des Arbeitnehmers zum Arbeitgeber hinweist oder auch die Durchgriffshaftung des organschaftlichen Vertreters nach § 7e Abs. 7 Satz 2 SGB IV ausschließt, ist umstritten (unentschieden BAG, Urt. v. 23.02.2010 – 9 AZR 44/09 Rn. 54).
Das Gericht ist insoweit zu dem Ergebnis gelangt, dass die Durchgriffshaftung nach § 7e Abs. 7 Satz 2 SGB IV auf die gesetzliche Regelung zur Insolvenzsicherung von Wertguthaben aus Altersteilzeitverträgen nach § 8a AltTZG keine Anwendung findet. Der Gesetzgeber hat die unterschiedlichen Regelungsmaterien von Wertguthaben aus Arbeitsverhältnissen einerseits und solchen aus Altersteilzeitverträgen andererseits mit jeweils abschließenden gesetzlichen Normierungen abweichend voneinander geregelt. Nach dem Wortlaut des § 8a Abs. 1 HS. 2 AltTZG ist eine Anwendbarkeit des § 7e SGB IV ausnahmslos nicht gegeben.
Sowohl nach Sinn und Zweck als auch nach der zugrunde liegenden Gesetzessystematik der Insolvenzsicherung von Wertguthaben aus Arbeitsverhältnissen (Zeitwertkonten) einerseits und der Insolvenzsicherung von Wertguthaben aus Altersteilzeitverträgen andererseits lässt sich ein vom Wortlaut des § 8a Abs. 1 HS. 2 AltTZG abweichendes Ergebnis nicht herleiten.
Insoweit ist auch der Gesetzgeber von zu differenzierenden Regelungsmaterien ausgegangen, als er in der Gesetzesbegründung ausdrücklich darauf hinweist, dass der auf die Besonderheiten der Altersteilzeit zugeschnittene Insolvenzschutz im Altersteilzeitgesetz für eine wirkungsvolle Verbesserung des Insolvenzschutzes für die Vielzahl der in der Praxis existierenden Wertguthabenmodelle nur bedingt geeignet und auch nicht auf alle flexiblen Arbeitszeitmodelle anwendbar ist und der Insolvenzschutz anders als bei der Altersteilzeit in vielen Fällen auf eine Laufzeit von Wertguthaben von mehreren Jahrzehnten abgestimmt sein müsse, so dass die Anforderungen hieran in besonderer Weise zugeschnitten werden müssen.
In Kenntnis der Problematik um eine fehlende Durchgriffshaftung hat der Gesetzgeber nicht nur auf die Aufnahme einer in § 7e Abs. 7 Satz 2 und Satz 3 SGB IV vergleichbaren Regelung in § 8a AltTZG verzichtet, sondern darüber hinaus den § 7e SGB IV ausdrücklich und ausnahmslos für nicht anwendbar erklärt und diesbezüglich konsequent in der Gesetzesbegründung § 8a AltTZG als „lex specialis“ zu § 7e SGB IV erklärt.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass Wertguthaben aus Arbeitsverhältnissen sofort abgewickelt werden können, wenn es an einer – hinreichenden – Insolvenzsicherung fehlt, da es lediglich um Beträge geht, die in der Vergangenheit durch den Arbeitnehmer erdient und angespart worden sind, und zwar in der Regel ohne Zusatzleistungen durch den Arbeitgeber. Im Falle von Altersteilzeitverträgen insbesondere im Blockmodell stellt sich dementgegen das Problem, dass für die Vergangenheit Aufstockungsleistungen gezahlt worden sind und im Blockmodell die angesparten Wertguthaben sukzessiv während der Freistellungsphase verbraucht werden sollen. In diesen Fällen ist die sofortige Abwicklung im Fall einer nicht bestehenden bzw. nicht nachgewiesenen Insolvenzsicherung gesetzlich gerade nicht vorgesehen. Aufgrund der Zukunftswirkung sieht § 8a Abs. 4 AltTZG deshalb in Abweichung von § 7e SGB IV einen sofortigen und durchsetzbaren Sicherungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber in Höhe des bestehenden Wertguthabens vor, so dass es offenbar nach den Vorstellungen des Gesetzgebers keiner gesteigerten Schutzmaßnahme im Wege der Verankerung einer Durchgriffshaftung nach dem Vorbild des § 7e Abs. 7 Satz 2 und Satz 3 SGB IV bedarf.
C. Kontext der Entscheidung
Mit der vorliegenden Entscheidung führt das LArbG Rostock einerseits eine mittlerweile gefestigte BAG-Rechtsprechung zu Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Geschäftsführer einer insolventen Arbeitgeber-GmbH fort und bestätigt andererseits die sich aus der bisherigen Rechtsprechung zu entnehmende Tendenz, zwischen Wertguthaben aus Altersteilzeit und aus sonstigen Zeitkontenmodellen insbesondere im Hinblick auf die Konsequenzen einer unterbliebenen Insolvenzsicherung dieser Guthaben zu differenzieren.
D. Auswirkungen für die Praxis
§ 8a AltTZG hat die Rechtslage für Arbeitgeber durch die gesetzlich zwingende Verpflichtung zur Absicherung von Wertguthaben deutlich verschärft. Auch wenn dadurch nunmehr eine deliktische Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Betracht kommt, begrenzt sich diese Haftung auf die GmbH und erfasst grundsätzlich nicht deren Organe. Damit ist ein entsprechender Schadensersatzanspruch der Mitarbeiter dann nahezu entwertet, wenn der Arbeitgeber insolvent ist und dem Mitarbeiter nur noch eine einfache Insolvenzforderung zusteht.
Angesichts der Tatsache, dass die Frage der Organhaftung dem Gesetzgeber bei der Verabschiedung des § 8a AltTZG bekannt war und er gleichwohl eine § 7e Abs. 7 Satz 2 und Satz 3 SGB IV vergleichbare Regelung ausdrücklich nicht vorgenommen hat, ist die vom Gericht insoweit nachvollzogene Differenzierung zwar unter wirtschaftlichen Aspekten aus Sicht eines effektiven Arbeitnehmerschutzes zu kritisieren, aber im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes sowie der Gesetzesbegründung wohl als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers hinzunehmen.
Vor diesem Hintergrund ist jeder Arbeitnehmer gut beraten, sich vor Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung die Existenz einer auch hinreichenden und werthaltigen Insolvenzsicherung bestätigen zu lassen und sich ggf. auch z.B. durch entsprechende Sicherheiten (z.B. Vereinbarung eines Pfandrechtes) so abzusichern, dass diese Sicherheit im Insolvenzfall nicht in die Insolvenzmasse fällt bzw. zur bevorzugten Befriedigung des Mitarbeiters zur Verfügung steht.
Aber auch Organmitglieder sollten auf eine entsprechende Insolvenzsicherung achten, um jegliches Risiko einer persönlichen Haftung auszuschließen.