Nachfolgend ein Beitrag vom 15.11.2018 von Maier, jurisPR-VersR 11/2018 Anm. 4

Leitsatz

Die sog. Vorerstreckungsklausel des § 4 Abs. 3 Buchst. a der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2008) ist intransparent.

A. Problemstellung

Die Frage, ab wann man rechtsschutzversichert sein muss, um in einem konkreten Rechtsstreit tatsächlich Versicherungsschutz aus der Rechtsschutzversicherung zu bekommen, ist häufig nur schwer zu beantworten. Zunächst setzt der Anspruch auf Rechtsschutz voraus, dass der Versicherungsfall eingetreten ist. Das ist in der Regel der Verstoß, den der Versicherungsnehmer seinem Gegner vorwirft. Maßgeblich ist dabei immer auf das dem Anspruchsgegner vorgeworfene Verhalten abzustellen, aus dem der Versicherungsnehmer seinen Anspruch herleitet (BGH, Urt. v. 24.04.2013 – IV ZR 23/12).
Allerdings versuchen die Rechtsschutzversicherer den Zeitpunkt, zu dem der Versicherungsnehmer versichert gewesen sein muss, noch weiter nach hinten zu verlegen. Dazu verwenden sie die sog. Vorerstreckungsklausel. Diese lautet etwa in § 4 Abs. 3 ARB 2010:
„Es besteht kein Rechtsschutz, wenn
a) eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor Beginn des Versicherungsschutzes vorgenommen wurde, den Verstoß nach Absatz 1c) ausgelöst hat.“
Das OLG Hamm (Beschl. v. 04.07.2014 – 20 U 114/14) hatte diese Klausel etwa in einem Fall angewandt, in dem ein Versicherungsnehmer Ansprüche gegen seinen Unfallversicherer erhoben hat – die in der Folge abgelehnt wurden. Der Versicherungsfall – also der Verstoß des Gegners (Unfallversicherung) – ist die Leistungsablehnung. Allerdings ist der Antrag beim Versicherer auf Invaliditätsleistung vom OLG Hamm als Rechtshandlung gemäß § 4 Abs. 3 a) ARB 2008 angesehen worden, die den späteren Verstoß des Unfallversicherers (Leistungsablehnung) ausgelöst hat. Demgemäß musste bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung beim Versicherer Rechtsschutz bestanden haben.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Dem zu § 4 Abs. 3 a) ARB 2008 ergangenen Urteil des BGH lag ein typischer Widerrufsfall zugrunde. Der erst seit April 2010 rechtsschutzversicherte Kläger hatte bereits am 09.07.2008 mit einer Bank einen Vertrag über drei Darlehen zur Finanzierung eines Grundstückskaufs abgeschlossen. Mit Schreiben an die Bank vom 20.03.2015 widerrief der Kläger seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Vertragserklärung und machte dabei geltend, er könne das Widerrufsrecht infolge einer rechtlich unzureichenden Widerrufsbelehrung nach wie vor ausüben. Nachfolgend wies die Bank den Widerruf als verspätet zurück.
Ob dem Kläger für den nun zu führenden Prozess gegen die Bank Rechtsschutz zusteht, wurde vom LG Köln in mehreren Fällen (etwa Urt. v. 24.09.2015 – 24 O 153/15) verneint. Zwar sei der Versicherungsfall (Verstoß) erst mit der Weigerung der Bank eingetreten, den Widerruf des Darlehensvertrags anzuerkennen. Obwohl der Kläger zu diesem Zeitpunkt eindeutig rechtsschutzversichert war, wendete das LG Köln die Vorerstreckungsklausel an und sah die fehlerhafte Belehrung als streitauslösende Rechtshandlung an. Zum Zeitpunkt der Belehrung im Jahr 2008 war der Kläger aber noch nicht rechtsschutzversichert, so dass das LG Köln den Anspruch auf Rechtsschutz hieran scheitern ließ.
Während das OLG Köln (Beschl. v. 15.01.2016 – 9 U 251/15) die Vorerstreckungsklausel nicht anwenden wollte und überdies deren Transparenz in Zweifel zog, ging der BGH noch einen Schritt weiter und sah die Vorerstreckungsklausel als intransparent an.
Das Gesetz messe dem Begriff der Rechtshandlung keinen durchgehend einheitlichen Sinn bei. So sei der Begriff der Rechtshandlung im Insolvenzanfechtungsrecht weit auszulegen und bezeichne dort jedes von einem Willen getragene Handeln vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, das eine rechtliche Wirkung auslöst. Der BGH bezweifelt, ob sich dies Verständnis etwa auch auf die §§ 15 Abs. 2, 54 Abs. 1, 126 Abs. 1 HGB oder aber auf einen eng auszulegenden Risikoausschluss in der Rechtsschutzversicherung gleichermaßen übertragen lässt.
Das Problem an der Vorerstreckungsklausel ist, dass sie sehr weit gefasst ist. Häufig liegt einem Verstoß eine Rechtshandlung zugrunde, die ihn früher einmal ausgelöst hat. Der Senat geht daher zunächst auf verschiedene Einschränkungen ein, die der Begriff der Rechtshandlung in Rechtsprechung und Literatur erfahren hat. So soll der Begriff der Rechtshandlung solche Handlungen nicht erfassen, die ihrerseits bereits einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c ARB 2008 enthalten, weil die Vorerstreckungsklausel gerade nicht den Rechtsschutzfall beschreibe. Obwohl schon dies ziemlich verwirrend ist, lässt der BGH an dieser Stelle die Frage nach der Transparenz der Klausel noch offen.
Nach dem Klauselwortlaut soll nämlich dann kein Rechtsschutz bestehen, wenn die vor Versicherungsbeginn vorgenommene Willenserklärung oder Rechtshandlung den Verstoß „ausgelöst“ hat. Mit dieser Wendung werde dem Versicherungsnehmer nicht nachvollziehbar verdeutlicht, in welchen Fällen kein Versicherungsschutz besteht. Ob damit lediglich die sog. conditio-sine-qua-non-Formel im Sinne adäquater Kausalität eingeschränkt, ein weitergehendes Unmittelbarkeitserfordernis oder ein die Zurechnung begrenzendes Kausalitätskriterium ganz eigener Art aufgestellt werden solle, erschließe sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht.
Hinzu komme, dass die Klausel den Versicherungsschutz auch in Fällen versagt, in denen sich erst nach Abschluss der Rechtsschutzversicherung im Nachhinein bei objektiver rechtlicher Betrachtung herausstellt, dass eine vor Vertragsschluss bewirkte Willenserklärung oder Rechtshandlung geeignet war, den späteren Rechtsschutzfall auszulösen. Damit werde es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, dem unter anderem Rechtsschutz für rechtliche Auseinandersetzungen auch im Rahmen laufender Verträge versprochen wird, bei Abschluss der Rechtsschutzversicherung unmöglich gemacht zu erkennen, in welchem Umfang dieses Leistungsversprechen durch die Vorerstreckungsklausel eingeschränkt wird.

C. Kontext der Entscheidung

Der BGH hat mit diesem Urteil eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem LG Köln (etwa Urt. v. 24.09.2015 – 24 O 153/15) und dem OLG Köln (etwa Beschl. v. 15.01.2016 – 9 U 251/15) entschieden und die Auffassung des OLG Köln bezüglich der Nichtanwendbarkeit oder sogar Unwirksamkeit der Vollstreckungsklausel bestätigt. Im Ergebnis ist dem BGH zuzustimmen, die Klausel ist außerordentlich schwer verständlich und hätte, wenn nicht neu gefasst, so durch erläuternde Beispiele näher illustriert werden müssen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Auswirkungen für die Praxis sind erheblich, mit dem Wegfall der Vorerstreckungsklausel ist den Rechtsschutzversicherern ein wichtiges Instrument genommen worden, um mögliche Zweckabschlüsse zu verhindern. Die Entscheidung kam für die Rechtsschutzversicherer überraschend, schließlich hatte Wendt (RuS 2014, 328) als früheres Mitglied des IV. Zivilsenats des BGH gegen die Wirksamkeit dieser Klausel keine Bedenken geltend gemacht, sondern nur auf zu beachtende Auslegungsgrundsätze hingewiesen. Auch wenn die zu dieser Klausel ergangene Rechtsprechung eher spärlich ist, so hat sie doch in der Praxis eine nicht zu unterschätzende Bedeutung eingenommen. Dies gilt vor allem für den Fall, dass ein Versicherungsnehmer z.B. bei einem Versicherer oder einem Kreditinstitut Ansprüche angemeldet hat und nicht bereits zu diesem Zeitpunkt rechtsschutzversichert war.

Intransparenz der Vorerstreckungsklausel in der Rechtsschutzversicherung
Andrea KahleRechtsanwältin

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