OLG Oldenburg, Pressemitteilung vom 09. November 2015
Der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg hat ein ostfriesisches Krankenhaus verurteilt, einem Kind wegen einer zu spät erkannten Hirnhautentzündung Schadensersatz zu leisten, und damit ein Urteil des Landgerichts Aurich bestätigt.
Der seinerzeit fünf Jahre alte Junge wurde am Nachmittag des 12. Mai 2011 mit Schüttelfrost und hohem Fieber in ein ostfriesisches Krankenhaus eingeliefert und dort stationär aufgenommen. Die Ärzte leiteten eine Infusionstherapie ein. Der Zustand des Kindes besserte sich jedoch nicht. Im Laufe des Abends und der Nacht erbrach es mehrfach. Gegen 4.00 Uhr nachts löste sich dabei die Infusionsnadel. Der von der Mutter des Kindes herbeigerufene Pfleger sah jedoch keinen Handlungsbedarf. Gegen 7.00 Uhr informierte eine Krankenschwester den diensthabenden Arzt darüber, dass sich am Körper des Kindes ungewöhnliche Hautverfärbungen zeigten. Die Ärzte vermuteten das Vorliegen einer Hirnhautentzündung und begannen sofort mit einer Notfallversorgung. Eine Laboruntersuchung bestätigte den Verdacht. Der Junge wurde daraufhin umgehend in ein Oldenburger Klinikum verlegt. An seinem ganzen Körper und im Gesicht zeigten sich blauschwarze Haut- und Muskelnekrosen (Gewebeschäden, die durch das Absterben von Zellen entstehen). Zwei Wochen später wurde der Fünfjährige in ein Hamburger Kinderkrankenhaus verlegt. Dort amputierte man ihm beide Unterschenkel. Außerdem erfolgten zahlreiche Haut- und Muskeltransplantationen. Der Junge muss bis heute einen Ganzkörperkompressionsanzug sowie eine Kopf- und Gesichtsmaske tragen, um eine wulstige Narbenbildung zu vermeiden.
Mit der Klage vor dem Landgericht nahm der Junge, vertreten durch seine Eltern, das ostfriesische Krankenhaus auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 350.000,-€ und Schadensersatz in Anspruch. Er machte geltend, dass die Hirnhautentzündung grob fehlerhaft zu spät erkannt worden sei. Spätestens gegen 4.00 Uhr nachts habe Handlungsbedarf bestanden. Die Hautverfärbungen hätten bereits zu diesem Zeitpunkt vorgelegen und seien von dem diensthabenden Pfleger auch erkannt worden. Es hätte sofort ein Arzt hinzugerufen und eine Notfallbehandlung eingeleitet werden müssen. Zum Beweis für das Vorliegen der Hautverfärbungen in der Nacht legten die Eltern des Jungen zwei Lichtbilder vom Handy der Mutter vor, auf denen diese deutlich zu erkennen sind. Das Krankenhaus wies den Behandlungsfehlervorwurf von sich und bestritt, dass die Lichtbilder den Zustand des Jungen in der Nacht zeigten. Das Landgericht gab der Klage dem Grunde nach statt. Es zeigte sich nach durchgeführter Beweisaufnahme von einem groben Behandlungsfehler des Pflegers überzeugt. Dieser hätte in der Nacht bereits deswegen einen Arzt benachrichtigen müssen, weil sich die Infusionsnadel gelöst hatte und die Therapie dadurch unterbrochen worden war. Der jetzige Gesundheitszustand des Kindes sei auf die verzögerte Notfallversorgung zurückzuführen.
Dagegen legte das Krankenhaus Berufung beim Oberlandesgericht Oldenburg ein, hatte damit jedoch keinen Erfolg. Der 5. Zivilsenat ließ das Handy der Mutter durch einen technischen Sachverständigen auswerten und kam zu dem Ergebnis, dass die von den Eltern vorgelegten Lichtbilder in der Nacht aufgenommen worden seien. Die Hautverfärbungen hätten bereits vorgelegen, als der diensthabende Pfleger gegen 4.00 Uhr im Zimmer des Kindes erschienen sei. Der Pfleger habe den Zustand des Fünfjährigen erkannt und dennoch keinen Arzt hinzugezogen. Dies stelle einen groben Behandlungsfehler dar. Es hätte umgehend mit einer Notfalltherapie begonnen werden müssen. Dadurch wäre in jedem Fall ein besseres Ergebnis erzielt worden.
Über die Höhe des Schmerzensgeldes und der Schadensersatzansprüche hat nunmehr das Landgericht Aurich zu befinden.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
(Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 28. Oktober 2015 zu 5 U 156/13, Vorinstanz: Landgericht Aurich, Urteil vom 21. Oktober 2013 zu 2 O 165/12).
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