Nachfolgend ein Beitrag vom 10.1.2019 von Fortmann, jurisPR-VersR 1/2019 Anm. 4

Leitsätze

1. Der Ausschluss für besondere Produkthaftpflichtrisiken bei Kraft-, Schienen- und Wasserfahrzeugen bei einer Produkthaftpflichtversicherung für Industriebetriebe (vgl. Ziff. 3.1. ProdHM) kann nicht über den Anwendungsbereich von Nr. 7.7 der Allgemeinen-Haftpflicht-Versicherungsbedingungen hinaus erweitert werden.
2. Die Voraussetzungen der Ersichtlichkeit eines Einbaus von Teilen in Kraft-, Schienen- und Wasserfahrzeuge hat der Versicherer darzulegen und zu beweisen.

A. Problemstellung

Produzenten, deren Erzeugnisse nicht direkt an den Endabnehmer gelangen, benötigen in der Regel eine erweiterte Produkthaftpflichtversicherung, um deren Haftungsrisiko adäquat zu versichern. Neben der Absicherung von Sach- und Personenschaden besteht bei diesem Versicherungstyp in abschließend aufgezählten Bereichen eine Erstattungsmöglichkeit für reine Vermögensschäden, die dem Produzenten entstehen. Zu nennen sind hier z.B. Prüf- und Sortierkosten, Ein- und Ausbaukosten oder die Weiterbe- und -verarbeitungsschäden.
Das OLG Dresden hat sich mit der Frage beschäftigt, ob Aus- und Einbau im konkreten Fall vom Versicherer bedingungsgemäß erstattet werden müssen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin, die eine Lohnhärterei betreibt, hat beim beklagten Versicherer eine erweiterte Produkthaftpflichtversicherung abgeschlossen. Sie hat für einen Auftraggeber Hülsen plasmanitriert. Dies erfolgte nicht entsprechend der vereinbarten Spezifikationen. Die Hülsen wurden vom Auftraggeber der Klägerin in Bahnkupplungen eingebaut. Aufgrund der fehlerhaften Härtung der Gegenstände kam es zu Abrieb und hierdurch zu einer Schmiermittelverunreinigung. Dies machte den Ausbau und den Ersatz der fehlerhaften Hülsen beim Abnehmer des Auftraggebers erforderlich.
Der Auftraggeber der Klägerin machte gegen diese die Kosten für den Ein- und Ausbau der Hülsen geltend. Die Beklagte lehnt den Deckungsschutz ab. Die Klägerin nahm die Beklagte daraufhin auf dem Klageweg auf Gewährung von Deckung in Anspruch. Daneben erhebt die Klägerin einen Anspruch wegen Falschberatung durch die Beklagte.
Das Landgericht wies die Klage ab. Das OLG Dresden gab der Berufung der Klägerin statt.
Das Gericht stellte zunächst fest, dass der vom Auftraggeber gegen die Klägerin geltend gemachte Anspruch unter den Deckungsschutz der erweiterten Produkthaftpflichtversicherung fiel. Da der Ausschluss der Ziff. 7.7. AHB hinsichtlich der streitgegenständlichen Schäden nicht eingreife, sei Ziff. 1.2 ProdHaftPfl, der eine Erweiterung zu Ziff. 7.7. AHB darstelle, nicht einschlägig. Insoweit greife auch nicht der Ausschlusstatbestand nach Ziff. 1.2. Satz 2 ProdHaftPfl ein, wonach sämtliche Ansprüche wegen Beschädigungen von Schienenfahrzeugen ausgeschlossen sind.
Der Deckungsanspruch hinsichtlich der Ein- und Ausbaukosten sei – so das Gericht weiter – auch nicht nach Ziff. 4.4.4.2. ProdHaftPfl ausgeschlossen. Der Ausschlusstatbestand greife u.a. ein, wenn die noch nicht verbauten Teile zum Zeitpunkt der Auslieferung ersichtlich für den Einbau in Schienenfahrzeuge bestimmt waren. Die Darlegungs- und Beweislast für das Eingreifen dieses Ausschlusstatbestands liege beim Versicherer. Dieser habe aber nicht ausreichend nachgewiesen, dass für die Klägerin im Zeitpunkt der Plasmanitrierung ersichtlich gewesen sei, dass die Hülsen in Schienenfahrzeuge verbaut werden sollten. Die Beklagte habe hierzu lediglich pauschal vorgetragen, wohingegen die Klägerin ausreichend und wirksam bestritten habe, dass sie den Einbau der Hülsen in Schienenfahrzeuge habe erkennen können.

C. Kontext der Entscheidung

Bei der Entscheidung des OLG Dresden bleibt offen, nach welchen konkreten Regelungen des Versicherungsvertrages das Gericht die Ein- und Ausbaukosten als erstattungsfähig ansieht.
Zunächst führt das Gericht aus, dass die Ein- und Ausbaukosten durch die mangelhafte Leistung des Klägers und der daraus resultierenden Beschädigung der Bahnkupplungen entstanden seien. Insoweit scheint das Gericht einen Schadensersatzanspruch aufgrund eines Sachschadens bejahen zu wollen, und damit wäre ein Versicherungsfall nach Ziff. 1.1 ProdHaftPfl eingetreten. Bereits an dieser Stelle wäre die Prüfung des Gerichts – die getroffene Bewertung als richtig unterstellt – dann aber bereits abgeschlossen gewesen, weil bei dem vom Gericht angenommen Sachschaden auch sämtliche Vermögensschäden, die aus dem Sachschaden resultieren – und somit auch die Ein- und Ausbaukosten –, bereits unter den Versicherungsschutz der Ziff. 1.1 ProdHaftPfl fallen würden, soweit in der streitgegenständlichen Vorschrift keine Einschränkung diesbezüglich enthalten ist. Zudem hat das Gericht das Eingreifen des Ausschlusstatbestands der Ziff. 7.7. AHB verneint. Eines Rückgriffs auf Ziff. 1.2 ProdHaftPfl oder auf die Ziff. 4.4 ProdHaftPfl hätte es somit in diesem Fall nicht bedurft.
Auch wenn es eigentlich hierauf nach den anfänglichen Feststellungen des Gerichts nicht mehr ankam, hat es nach dessen Annahmen zutreffend verneint, dass im vorliegenden Fall der Ausschlusstatbestand nach Ziff. 1.2 Satz 2 ProdHaftPfl eingreift. Denn die übliche Regelung nach Ziff. 1.2 ProdHaftPfl erweiterte den Versicherungsschutz nur für solche (Bearbeitungs- bzw. Tätigkeits-)Schäden, für die nach Ziff. 7.7 AHB ansonsten kein Versicherungsschutz bestehen würde. Da vorliegend das Gericht die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes der Ziff. 7.7 AHB verneint hat, hat es dann konsequenterweise auch die Anwendbarkeit von Ziff. 1.2 ProdHaftPfl abgelehnt.
Stimmig ist die Prüfung des Ausschlusstatbestandes der Ziff. 4.4.4.2 ProdHaftPfl durch das OLG Dresden. Nach dem im Urteil – allerdings nur rudimentär – wiedergegebenen Sachverhalt ist auch bei objektiver Betrachtungsweise (vgl. hierzu Schimikowski in: Späte/Schimikowski, Haftpflichtversicherung, 2. Aufl. 2015, ProdHM Rn. 118 f.) nicht zu erkennen, dass für die Klägerin der spätere Einbau der Hülsen in Bahnkupplungen ersichtlich war. Dies kann aber aufgrund des unvollständigen Sachverhalts nicht vollständig beurteilt werden. Dass der Versicherer für die Voraussetzungen eines Ausschlusstatbestands darlegungs- und beweisbelastet ist, folgt bereits aus den allgemeinen zivilprozessualen Regelungen.
Auch wenn es im vorliegenden Fall nicht darauf ankommen dürfte, sei am Rande noch darauf hingewiesen, dass es nach dem eindeutigen Wortlaut für das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes nach Ziff. 4.4.4.2 ProdHaftPfl nicht auf den Zeitpunkt der Bearbeitung ankommt – wie das OLG Dresden annimmt –, sondern auf den Zeitpunkt der Auslieferung des Erzeugnisses durch den Versicherungsnehmer oder einem von ihm beauftragten Dritten.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Dresden zeigt, wie wichtig es zur Beurteilung des Bestehens des Deckungsschutzes im Rahmen der erweiterten Produkthaftpflichtversicherung ist, welcher konkrete Tatbestand der Bedingungen hierfür einschlägig ist. Je nachdem, welcher versicherte Tatbestand vorliegt, können andere Ausschlusstatbestände einschlägig sein, z.B. wie im vorliegenden Fall für Kraft-, Schienen- oder Wasserfahrzeuge.
Für den Umfang des Versicherungsschutzes bei der Erstattung von Ein- und Ausbaukosten dürfte hingegen die Abgrenzung, ob diese einen echten oder unechten Vermögensschaden darstellen, derzeit in der Praxis nicht von großer Relevanz sein, weil auch über die Ziff. 4.4 ProdHaftPfl die wichtigsten Positionen im Rahmen dieser Kosten vom Versicherer erstattet werden. Es kann dann häufig offengelassen werden, ob bereits eine Deckung nach Ziff. 1.1 oder nach Ziff. 4.4 ProdHaftPfl gegeben ist.

Erstattung von Ein- und Ausbaukosten in der erweiterten Produkthaftpflichtversicherung
Andrea KahleRechtsanwältin

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