Nachfolgend ein Beitrag vom 3.7.2018 von Plank, jurisPR-PrivBauR 7/2018 Anm. 5

Leitsätze

1. Erfährt ein Bauherr während der Bauausführung von einem Herstellungsmangel (hier: zu niedrig betonierter Ringanker) und lässt er dennoch weiterbauen, hat er keinen Ersatzanspruch im Umfang des sich dadurch vertiefenden Schadens, wenn er später die Herstellung eines mangelfreien Werks begehrt.
2. Ein Architekt muss einen Bauherrn, der von einem Herstellungsmangel erfährt, nicht darauf hinweisen, dass im Fall eines Verlangens nach Mangelbeseitigung die Bauarbeiten gestoppt werden müssen, wenn jedem Laien klar sein muss, dass die weiteren Bauarbeiten den dann erforderlichen Rück- und Neubau aufwändiger und damit teurer machen.
3. Der Tatbestand eines Urteils liefert nach § 314 Satz 1 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen. Kann dieser Beweis nicht durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden (§ 314 Satz 2 ZPO), muss der Richter auf Grund der Beweisregel des § 314 Satz 1 ZPO von der Richtigkeit der im Tatbestand des Urteils enthaltenen tatsächlichen Angaben ausgehen, wenn eine Tatbestandsberichtigung nach § 320 ZPO nicht vorgenommen wird.
4. Hat ein Bauherr gegenüber einem Gesamtschuldner nur einen Einbehalt von der Werklohnforderung geltend gemacht und wurde keine Aufrechnung erklärt, kann sich der andere Gesamtschuldner insoweit nicht auf Erfüllung berufen.

A. Problemstellung

Das Urteil enthält in erster Linie Ausführungen zum Umfang der Überwachungspflicht und der Haftung des bauüberwachenden Architekten, zu Bauherrenpflichten und zur Beweiswirkung des Tatbestands des erstinstanzlichen Urteils. Der klagende Architekt dringt mit seinem Honoraranspruch weitgehend durch, weil seine Pflichtverletzung lediglich in geringem Umfang zur Vertiefung des Schadens geführt hatte und weil das Oberlandesgericht im Übrigen der Auffassung war, er habe seine Pflichten nicht verletzt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der klagende Architekt war von der Beklagten mit den Leistungsphasen 1 bis 8 für die Sanierung eines Wohn- und Geschäftshauses beauftragt. Aufgrund dieses Auftrags stand dem Kläger unstreitig eine Honorarforderung zu, die er eingeklagt hatte. Streitig waren Gegenansprüche, die die Beklagte geltend gemacht hatte. Die Beklagte hatte gegenüber der eingeklagten Forderung des Architekten mit Ersatzansprüchen aufgerechnet, die sie mit einer vom Rohbauer planwidrig verursachten Höhenabweichung begründete. Außerdem hatte die Beklagte widerklagend einen Schadensersatzanspruch wegen eines Wasserschadens geltend gemacht.
Hintergrund der Forderung, mit der die Beklagte aufgerechnet hatte, war, dass das Rohbauunternehmen im April 2012 die Schalung und Betonierung des Ringankers für einen Anbau fehlerhaft ausgeführt hatte. Im Mai 2012 wurde der erste der neuen T-Träger angebracht und im Juni teilte der Kläger der Beklagten mit, dass die Attika erhöht werden müsste. Am 18.06.2012 schließlich stellte der Kläger fest, dass die Stahlkonstruktion des Rohbauers eine nicht plangemäße Höhenlage aufwies. Der Kläger rügte den Mangel gegenüber dem Rohbauunternehmen. Dieses kam der Nachbesserungsaufforderung nicht nach. Das Bauvorhaben wurde ohne Korrektur der Höhenlage der Stahlträger zu Ende geführt. Die Beklagte erklärte gegenüber dem Rohbauer einen Einbehalt wegen ihrer Schadensersatzansprüche aus der fehlerhaften Ausführung.
Die Widerklage beruhte darauf, dass der Rohbauer das Flachdach des vorhandenen Anbaus auftragsgemäß abgerissen hatte und der Dachdecker damit beauftragt war, ein Notdach herzustellen. Das Notdach wurde nicht ordnungsgemäß erstellt und es kam zu einem Wasserschaden. Der Kläger behauptete, er habe am Freitag im Rahmen einer Baustellenüberprüfung festgestellt, dass das Notdach nicht ordnungsgemäß befestigt war, und den Dachdecker aufgefordert, für eine ordnungsgemäße Abdichtung und Befestigung des Notdachs zu sorgen. Der Dachdecker habe dies zugesagt und dennoch nicht ausgeführt.
Das Landgericht hatte die Beklagte antragsgemäß verurteilt und die Widerklage abgewiesen. Die von der Beklagten geltend gemachten Gegenansprüche bestünden nicht. Die Beklagte hat hiergegen Berufung eingelegt. Das OLG Stuttgart hat auf die Berufung entschieden, dass die Beklagte gegen die Klageforderung i.H.v. 1.600 Euro aufrechnen konnte und begründet dies damit, dass dem Grunde nach gemäß den §§ 634 Nr. 4, 633, 636, 280 Abs. 1 BGB ein Schadensersatzanspruch der Beklagten gegen den Kläger wegen fehlerhafter Bauüberwachung bestand. Dieser Anspruch umfasse jedoch nur eine geringfügige Schadensvertiefung aufgrund einer verzögerter Aufklärung der Beklagten durch den Kläger.
Das OLG Stuttgart erkannte eine Pflichtverletzung darin, dass der Kläger die Raumhöhen des Anbaus nicht bereits am 13.06.2012 nachgemessen, die Beklagte nicht umgehend auf die Höhenabweichung hingewiesen und ihr damit keine frühere Entscheidung über einen Baustellenstopp ermöglicht hatte. Das Oberlandesgericht verweist unter Bezugnahme auf die Höhe des auf die Leistungsphase 8 entfallenden Honorars nach der HOAI auf die Bedeutung der Bauüberwachung und führt aus, dass aus diesem Grund an den Architekten bei der Erfüllung dieses Leistungsbildes erhebliche Anforderungen zu stellen sind. Der bauüberwachende Architekt müsse sich durch Baustellenbesuche ein zuverlässiges Bild vom Baufortschritt machen und sich vergewissern, dass die Umsetzung den planerischen Vorgaben entspricht.
Eine Pflichtverletzung des Klägers hat das Oberlandesgericht darin erkannt, dass der Kläger den Fehler des Rohbauunternehmens erst am 18.06.2012 festgestellt hat, obwohl er im Hinblick auf die Bedeutung der lichten Raumhöhe für die Beklagte bereits am 13.06.2012 hätte nachmessen müssen, ob die vereinbarte Raumhöhe erreicht würde. Da aber auch die Beklagte den Höhenunterschied am 18.06.2012 erkannt hatte, wirkte sich die Pflichtverletzung des Klägers dem Oberlandesgericht zufolge nur in der Zeit vom 13.06.2012 bis zum 18.06.2012 aus.
Eine weitergehende Pflichtverletzung hat das Oberlandesgericht insoweit nicht festgestellt, weil der Kläger mangels Auffälligkeiten vor der Fertigstellung der Dachkonstruktion die Höhen nicht nachmessen musste. Auf der Grundlage der Beweisaufnahme ging das Oberlandesgericht davon aus, dass ein erheblicher Höhenunterschied vor dem 13.06.2012 nicht erkennbar war. Der Sachverständige hatte in erster Instanz ausgeführt, dass eine Höhenkontrolle vor der Fertigstellung der Dachkonstruktion am 13.06.2012 aus technisch-baupraktischer Sicht nicht nötig und auch gänzlich unüblich sei. Auch daraus, dass die Erreichung einer bestimmten lichten Höhe für die Beklagte entscheidend gewesen sei, ergebe sich nicht eine per se gesteigerte Überprüfungspflicht für alle im Zusammenhang mit den Höhenangaben stehenden Leistungen. Die Betonierung des Ringankers sei eine handwerkliche Selbstverständlichkeit und stelle weder eine typische Gefahrenquelle noch einen kritischen Bauabschnitt dar.
Das OLG Stuttgart erwägt dann noch, ob sich eine Pflicht zur Höhenkontrolle vor Fertigstellung der Dachkonstruktion daraus ergeben könnte, dass eine Überprüfung im Hinblick auf die Einhaltung des Zeitplans spätestens zu diesem Zeitpunkt notwendig geworden wäre. Das Gericht kommt aber insoweit zu dem Ergebnis, dass es keine Rolle spielen könne, wenn im Nachhinein feststeht, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt der Mangel noch innerhalb eines vorgesehenen Zeitrahmens hätte behoben werden können.
Weiter erwägt das Oberlandesgericht, ob eine Pflichtverletzung des Klägers darin liege, dass der Kläger der Beklagten erst am 17.07.2012 mit der Anfrage nach einem Baustopp klar gemacht habe, dass ein Rückbau eine Baueinstellung erforderlich mache. Die Beklagte hatte ab dem 25.06.2012 einen Rückbau begehrt. Das OLG Stuttgart stellt hierzu fest, dass ein Architekt zwar grundsätzlich verpflichtet sein kann, den Bauherrn darüber aufzuklären, dass im Falle eines Rückbaus zur Vermeidung von Schadensvertiefungen ein sofortiger Baustopp erforderlich sei. In dem zu beurteilenden Falle habe jedoch keine Hinweispflicht des Klägers bestanden, weil jedem Bauherrn klar sein müsse, dass weitere Baumaßnahmen einen später durchzuführenden Rück- und Neubau aufwändiger und damit teurer machen.
Jedenfalls entfalle aufgrund überragenden Mitverschuldens der Beklagten ein Schadensersatzanspruch gegen den Kläger, da es nach Erkennen des Mangels allein der Beklagten als Bauherrin oblag, die Entscheidung zu treffen, welche Konsequenzen zu ziehen sind.
Aufgrund von Angaben des Sachverständigen nahm das Oberlandesgericht an, dass sich der Schaden in der Zeit zwischen dem 13.06.2012 und dem 18.06.2012 um 1.600 Euro „vertieft“ hat, weil in dieser Zeit eine Dämmung, eine Dampfbremse und eine Schutzmatte eingebracht worden waren.
Der Einbehalt gegenüber den Werkunternehmern stünde der Aufrechnung gegenüber dem Kläger nicht entgegen, weil die Ansprüche der Beklagten dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils zufolge nicht erfüllt waren, sondern die Beklagte lediglich einen Einbehalt vorgenommen hatte.
Auch sei die Widerklage vom Landgericht zu Recht abgewiesen worden. Der Beklagten stehe gegen den Kläger wegen des Schadens aufgrund des Wassereintritts infolge der unzureichenden Notüberdachung kein Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Bauüberwachung zu. Der Kläger sei zwar verpflichtet gewesen, die Notüberdachung zu überprüfen. Diese Pflicht habe er jedoch erfüllt und mit der Aufforderung zur Nachbesserung die richtige Konsequenz aus der Feststellung der nicht ausreichenden Abdeckung gezogen. Auch darin, dass der Kläger sich nicht noch einmal vergewissert hat, ob der Unternehmer der Nachbesserungsaufforderung nachgekommen war, sieht das Oberlandesgericht keine Pflichtverletzung, denn die Erfüllung einer Nachbesserungsaufforderung stelle eine handwerkliche Selbstverständlichkeit dar, die ohne konkreten Anlass nicht mehr weiter zu überprüfen sei.
Insbesondere stelle die Tatsache, dass die Notüberdachung an einem Rand nicht ordnungsgemäß befestigt war, keine derart grobe Verletzung handwerklicher Pflichten dar, dass hieraus auf eine generelle Unzuverlässigkeit des Dachdeckers geschlossen werden könne.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des OLG Stuttgart behandelt verschiedene Fragen im Zusammenhang mit den Pflichten eines bauüberwachenden Architekten. Grundsätzlich hängt der Umfang und die Intensität der Überwachungstätigkeit eines mit der Leistungsphase 8 beauftragten Architekten von den konkreten Anforderungen der Baumaßnahme und den jeweiligen Umständen ab und es gibt deshalb keine feststehenden Grundsätze, wann und wie oft der Architekt die Baustelle besuchen muss (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 2014, 12. Teil, Rn. 734). Fest steht allerdings einerseits, dass der Architekt bei einfachen, gängigen Arbeiten nicht ständig auf der Baustelle anwesend sein muss, um die Arbeiten zu kontrollieren (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 2014, 12. Teil, Rn. 735). Fest steht andererseits, dass eine erhöhte Überwachungspflicht besteht, soweit es sich um Bauabschnitte bzw. Bauleitungen handelt, die besondere Gefahrenquellen mit sich bringen, wie beispielsweise bei Abdichtungs-, Dämmungs- und Isolierungsarbeiten oder bei sonstigen Bauleistungen, die wichtige Bedeutung für das Bauwerk haben (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 2014, 12. Teil, Rn. 736).
In dem vom OLG Stuttgart entschiedenen Fall ging es zunächst um die Frage, zu welchem Zeitpunkt der bauüberwachende Architekt die Einhaltung von Höhenangaben überprüfen muss. Das OLG Stuttgart geht der ständigen Rechtsprechung folgend davon aus, dass sich der bauaufsichtsführende Architekt bei allgemein üblichen, einfachen und gängigen Arbeiten, den sog. handwerklichen Selbstverständlichkeiten, regelmäßig auf die Zuverlässigkeit der Bauausführung verlassen kann, sofern er keinen besonderen Anlass zur Kontrolle hat. Sodann entnimmt das Oberlandesgericht dem Ergebnis der Beweisaufnahme aus der ersten Instanz, dass vor dem 13.06.2012 ein erheblicher Höhenunterschied zwischen Neu- und Bestandsbau für den Kläger nicht mit bloßem Auge erkennbar war und eine Höhenkontrolle dem Sachverständigen zufolge zu diesem Zeitpunkt aus technisch-baupraktischer Sicht nicht nötig und auch gänzlich unüblich gewesen wäre.
Im Ergebnis dürfte diese Einschätzung zutreffend sein, weil eine erhöhte Überwachungspflicht nur besteht, wenn es sich um Bauabschnitte bzw. Bauleistungen handelt, die besondere Gefahrenquellen mit sich bringen oder um Bauleistungen, die wichtige Bedeutung für das Bauwerk haben (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 2014, 12. Teil, Rn. 736). Die Betonierung eines Ringankers bringt wohl generell keine besonderen Gefahrenquellen mit sich. Andererseits könnte im Einzelfall wohl auch argumentiert werden, dass die Einhaltung von Höhenangaben durchaus eine wichtige Bedeutung für das Bauwerk haben könne. Das OLG Stuttgart zieht dies denn auch durchaus in Betracht, lehnt diese Einstufung jedoch im Ergebnis zu Recht ab, weil die Betonierung des Ringankers eine handwerkliche Selbstverständlichkeit bleibe, auch wenn eine fehlerhafte Berücksichtigung von Höhenangaben erhebliche Schäden verursachen könne und die Beseitigung solcher Mängel kostenaufwändig sein kann. Allein der Umstand, dass die Mangelbeseitigung kostenaufwändig sein kann, kann nicht eine erhöhte Überwachungspflicht begründen.
Ebenso überzeugend legt das Oberlandesgericht dar, dass allein die Tatsache, dass im Nachhinein feststeht, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt der Mangel noch innerhalb des vorgesehenen Zeitrahmens hätte behoben werden können, ebenso wenig ausreichend für eine erhöhte Überwachungspflicht ist, weil der bauüberwachende Architekt sonst viele handwerkliche Selbstverständlichkeiten nachprüfen müsste. Letztlich könne jeder nicht ganz unbedeutende Mangel dazu führen, dass der vorgegebene Zeitrahmen nicht eingehalten werden kann.
Soweit das OLG Stuttgart ausführt, dass der bauüberwachende Architekt weder auf Umstände hinweisen muss, die jedem Bauherrn klar sein müssen, wie hier, dass ein Rückbau eine Baueinstellung erforderlich macht, noch dafür haftet, dass der Bauherr nicht entscheidet, wie mit einem erkannten Mangel umzugehen ist, betrifft dies sowohl den Umfang der Überwachungsplicht als auch die Reichweite der Haftung des Architekten. Grundsätzlich gilt, dass der bauüberwachende Architekt eben nicht für jeden Ausführungsfehler haftet, sondern nur für die Verletzung seiner Überwachungspflicht (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 2014, 12. Teil, Rn. 734). Der Architekt muss zwar die Ausführung der Bauleistungen überprüfen, er erfüllt die Pflicht jedoch, indem er den Bauherrn über etwaige Mängel informiert und die betroffenen Baubeteiligten zur Nacherfüllung auffordert (vgl. hierzu Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 2014, 12. Teil, Rn. 741). Bei Untätigkeit der Baubeteiligten muss er den Bauherrn auf die Notwendigkeit eigener, ggf. rechtsgestaltender Maßnahmen hinweisen. Eine Beratung über die zur Verfügung stehenden Ansprüche schuldet der Architekt jedoch nicht (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 2014, 12. Teil, Rn. 741). Ob der Architekt dem Bauherrn hier ausdrücklich hätte darauf hinweisen müssen, dass ein Baustopp angeordnet werden muss, ist eine Frage des Einzelfalls, die unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände beantwortet werden muss. Es erscheint jedoch nachvollziehbar, dass für den Bauherrn erkennbar war, dass der Bau hätte unterbrochen werden müssen, um die Mängel zu beseitigen.
Nachvollziehbar sind auch die Ausführungen zur Höhe des Schadens, den der Architekt wegen der Pflichtverletzung zu ersetzen hat. Das Oberlandesgericht legte den Mehraufwand des Rückbaus zugrunde, der zusätzlich in der Zeit zwischen dem Tag, an dem der Kläger der Beklagten den Mangel hätte mitteilen müssen und dem Tag, an dem die Beklagte von dem Mangel tatsächlich erfahren hat, entstanden wäre.
Zutreffend sind auch die Ausführungen des Oberlandesgerichts insoweit, dass der Kläger der Beklagten nicht entgegenhalten kann, dass die Beklagte Einbehalte gegenüber den Werkunternehmern vorgenommen hat und sich aus diesen Einbehalten befriedigen hätte können. Grundsätzlich steht es dem Gläubiger gemäß § 421 BGB frei zu wählen, welchen Gesamtschuldner er in Anspruch nimmt. Gemäß § 422 BGB wirkt zwar die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner und auch die Aufrechnung auch für die übrigen Schuldner. Ein Einbehalt bewirkt jedoch nicht die Erfüllung eines Anspruchs und führt damit auch nicht zum Erlöschen desselben.
Auch für die Entscheidung über die Widerklage war zu prüfen, welche Pflichten den bauüberwachenden Architekten treffen und wie weit im Einzelnen dessen Verantwortlichkeit geht. Der Ausgangspunkt ist derselbe: Bei einfachen, gängigen Arbeiten muss der Architekt nicht ständig auf der Baustelle anwesend sein, um die Arbeiten zu kontrollieren (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 2014, 12. Teil, Rn. 735; OLG Düsseldorf, Urt. v. 06.11.2012 – I-23 U 156/11 – BauR 2013, 489).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung zeigt, dass der bauüberwachende Architekt gut beraten ist, wenn er die Leistungen der ausführenden Firmen zeitnah überprüft und den Bauherrn unverzüglich über etwaige Mängel informiert.
Auch wenn das Gericht vorliegend eine Haftung des bauüberwachenden Architekten überwiegend abgelehnt hat, sollte dieser sich nicht darauf verlassen, dass der Bauherr die erforderlichen Konsequenzen selbst erkennen und ziehen wird. Ob es tatsächlich in jedem Fall ausreicht, dass dem Bauherrn der Mangel bekannt ist und ob nicht durchaus in ähnlich gelagerten Fällen verlangt werden würde, dass der bauüberwachende Architekt den Bauherrn zusätzlich ausdrücklich über die verschiedenen weiteren Vorgehensmöglichkeiten und die jeweiligen Risiken und Konsequenzen aufklärt, dürfte stets eine Frage des Einzelfalls sein. Das gilt auch für die Frage, ob ein Dachdecker, der bei drohendem schlechten Wetter ein Notdach am Rand nicht ordnungsgemäß befestigt, nicht doch Anlass dazu gibt, dass der Architekt die weitere Ausführung und Nachbesserung überprüft oder sich zumindest nochmals vergewissert, dass das Dach nun tatsächlich befestigt wurde.
Die Entscheidung zeigt auf der anderen Seite, dass auch der Bauherr seine Aufgaben wahrnehmen und vor allem Entscheidungen treffen muss. Außerdem zeigt das Urteil, dass der Bauherr sorgfältig prüfen sollte, ob er tatsächlich den bauüberwachenden Architekten in Anspruch nimmt oder ob es nicht erfolgversprechender ist, das ausführende Unternehmen in Anspruch zu nehmen, da der bauüberwachende Architekt dem Bauherrn eben nicht neben den am Bau Beteiligten für jede Art von Ausführungsfehlern haftet (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 2014, 12. Teil, Rn. 734).
Schließlich belegt das Urteil erneut die Bedeutung der Tatbestandswirkung des erstinstanzlichen Urteils. Es ist sorgfältig darauf zu achten, dass die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil zutreffend sind und – sollte dies nicht der Fall sein – rechtzeitig ein Tatbestandberichtigungsantrag gestellt wird.

Architektenhaftung: Intensität und Reichweite der Bauüberwachung
Birgit OehlmannRechtsanwältin

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